Iris Schülzke hält Plädoyer für Dörfer – Rot-Rot lehnt mehr Eigenständigkeit ab, Entwicklung und Mitbestimmung im ländlichen Raum wird weiter behindert
In einer Antwort der Landesregierung auf eine Große Anfrage von CDU und Grünen zeichnete die Landesregierung aus SPD und Linker ein geradezu paradiesisch-utopisches Bild von der Situation im ländlichen Raum Brandenburgs. In ihrem Entschließungsantrag „Es lebe das Dorf – den Dörfern in Brandenburg wieder mehr Rechte geben“ fordern daraufhin CDU und Grüne ein Ende der Bevormundung und Gängelung.
Eine Forderung, die wir gerne in der Debatte unterstützen. Denn in der Realität sind den Dörfern oft die Hände gebunden. Wer sich entwickeln will und neue Wohn-, Gewerbe- oder Mischgebiete ausweisen will, der muss die Bebauungspläne erst von der gemeinsamen Landesplanung genehmigen lassen. Und die würgt die meisten dieser Anträge mit Verweis auf den Landesentwicklungsplan ab. Entwicklung soll es nur in den größeren Städten oder bestenfalls im Berliner Umland geben. Die Dörfer „da draußen“ haben sich laut Landesregierung nicht zu entwickeln, sondern zu stagnieren oder zu schrumpfen. So wurde es zwischen Potsdam und Berlin ausgemacht. Die kommunale Selbstverwaltung verkommt zur leeren Worthülse.
In Ihrer Rede hielt Iris Schülzke (BVB / FREIE WÄHLER) ein Plädoyer für die Dörfer, ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung. Sie kritisiert ineffiziente Förderprogramme, die zu kompliziert sind, nur selten genehmigt und – wenn überhaupt – oft erst mit gewaltigen Verzögerungen ausgezahlt werden und so die Kommunen in Finanznot bringen.
Hinzu kommt die Vernachlässigung der Infrastruktur. Iris Schülzke bat darum, den Dörfern wieder die Möglichkeit zu geben, selbst Entscheidungen zu treffen und sich zu entwickeln. Denn meist ist vor Ort mehr Kenntnis über Bedürfnisse, Bedarfe und Möglichkeiten vorhanden als in Behörden im fernen Potsdam. Sie endet mit den Worten „Bitte öffnen Sie Ihr Herz für die Dörfer in Brandenburg.“ Leider vergebens. Trotz Unterstützung der gesamten Opposition wird der Antrag am Ende von der Mehrheit aus SPD und Linker angelehnt.
Rede Iris Schülzke zur Bedeutung des ländlichen Raums
Auch zu den thematisch verwandten Anträgen von CDU und Grünen – Demokratische Legitimation des Landesentwicklungsplanes verbessern und Beteiligungsmöglichkeiten der kommunalen Ebene an der Regionalplanung verbessern – sprach Iris Schülzke. Die Landesregierung behauptet, dass die Dörfer und kleinen Städte im ländlichen Raum sich gar nicht entwickeln wollten. Iris Schülzke wies auf die Sitzungen hin, in denen Vertreter eben jener Kommunen sowie Vertreter des Städte- und Gemeindebundes genau gegenteilig argumentierten und hierfür von Vertretern der Landesregierung gemaßregelt und beleidigt wurden. Für sie und die Gruppe BVB / FREIE WÄHLER war klar, dass wir die Anträge unterstützen werden. Doch auch diese Anträge wurden von der Mehrheit aus SPD und Linker abgelehnt. Begründung: Alles sei bereits bestens geregelt. Fazit: Kommunale Selbstbestimmung und einen demokratisch legitimierten Landesentwicklungsplan gibt es nicht mit Rot-Rot. Und Rot-Rot glaubt, besser zu wissen, was die Kommunen wollen und brauchen als die Kommunen selbst …
Rede Iris Schülzke zum Landesentwicklungsplan
Die gesamte Rede zur Bedeutung des ländlichen Raums von Iris Schülzke:
„Dörfer prägen die ländlichen Räume, sie sind meist naturnahe, von Land- und Forstwirtschaft, Handwerk und Kleinunternehmen geprägte Siedlungs- und Landschaftsräume mit sehr geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte und geringer Zentralität der Orte.
Die Dichte sozialer Netzwerke zwischenmenschlicher Beziehungen ist oft höher als in den Städten. Vom Thünen-Institut wurde ermittelt, dass in den ländlichen Regionen in Deutschland 57,2 % der Bevölkerung auf 91 % der Fläche leben. Untersucht wurden vom Institut die Zusammenhänge zwischen ländlicher Prägung, sehr ländlicher Prägung und der sozioökonomischen Lage.
Nun wird geprüft, ob die Erreichbarkeit von Einrichtungen und Dienstleistungen sowie die Qualität oder Preise der Daseinsvorsorge in den sehr ländlich geprägten Regionen, die insbesondere in Brandenburg im berlinfernen Raum zu finden sind, wesentlich ungünstiger sind als in ländlichen Regionen. Ermittelt wurde, dass sozioökonomische Ungleichheiten zwischen ländlichen Räumen vorhanden sind und bestimmte Problemlagen in den ländlichen Räumen mit weniger guter sozioökonomischer Lage tendenziell geballt auftreten.
Bemerkenswert ist jedoch, dass ermittelt wurde, dass eine Einteilung in gut und weniger gut nicht statisch zu sehen ist, sondern sich das im Zeitablauf sehr schnell ändern kann. Gleiches ist auch für die ,Ländlichkeit‘ denkbar. Eine geringe Ressourcenausstattung in Räumen mit weniger guter sozioökonomischer Lage schränkt künftige Entwicklungsmöglichkeiten tendenziell ein, während eine gute Ausstattung künftige Entwicklungsmöglichkeiten eher begünstigt.
Auch Ländlichkeit wird reproduziert, indem sie Menschen mit entsprechenden Wohnpräferenzen und Absichten zur entsprechenden Nutzung der Fläche anzieht. Gleichwohl verändert sich das Verständnis von Ländlichkeit im Laufe der Zeit und hängt vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext ab. Ländliche Räume sind vielfältig, ihre heterogene Realität spiegelt sich in einer besonderen Komplexität wieder, so die Forschungsergebnisse aus dem Jahr 2016.
Liest man die Antworten in der vorliegenden Großen Anfrage, gibt es durchweg eine sehr positive Bilanz von Seiten der Landesregierung, es wird der Eindruck erweckt, dass der Strukturwandel gemeistert ist. Es gibt Aussagen, gemeindliche Förderung ist Ansatz der Entwicklungspolitik, die Landesentwicklungsplanung des Landes ist darauf gerichtet, im ganzen Land gleiche Lebensverhältnisse herzustellen oder die Raumordnungsplanung des Landes räumt allen Gemeinden ausreichende Entwicklungspotentiale für die Befriedung des örtlichen Bedarfs ein.
Die Bürger in ländlichen Räumen schätzen das ganz anders ein, sie fühlen sich nicht mehr ernst genommen, ihr Gestaltungswille wird ignoriert und oft nicht zur Kenntnis genommen. Es gibt in der Antwort Verweise auf Fördermittelprog
ramme, Fördermittelverwendung in der Praxis ist kompliziert, für kleine Unternehmen mit unterschiedlichsten Profilen regelmäßig unpraktikabel, in den Gemeinden und Landkreisen hören wir, dass Fördermittelverfahren immer öfter in die Sackgasse führen. Jedoch ist der Aufwand für die Eigenmittelnachweise in einen Umfang ausgeartet, der kaum noch händelbar ist.
Hinzu kommt, dass bewilligte Mittel dann trotzdem sehr spät ausgezahlt werden, weil irgendwelche Verfahren dies eben so vorschreiben. Das betrifft die KULAP-Mittel, die Agrarförderung, LEADER-Mittel bis hin zur Finanzierung des Managements, die Zuschüsse für den Waldumbau und andere.
Antragsteller bringt das nicht selten in Liquiditätsprobleme, die gute Absicht, ,helfen zu wollen‘ schlägt so in das Gegenteil um, Hilfen werden zu Existenzrisiken, in der Presse war viel darüber zu lesen.
Die notwendige Versorgung mit Breitband in den Dörfern ist fast ganz außen vor. Ist es doch möglich, jede einzelne Windenergieanlage mit modernster Nachrichtentechnik im letzten Waldwinkel zu versorgen, so vermissen die Einwohner in den Dörfern schon, dass ihre Bedürfnisse überhaupt ernst genommen werden.
Potentiale des ländlichen Raumes, wie auch das Holz, der Wald und seine Produkte, auch die landwirtschaftlichen Erzeugnisse werden kaum wertgeschätzt.
Wertvolle Acker- oder Waldflächen, der Boden der Kulturlandschaft überhaupt, findet in den Landes- und Regionalplanungen kaum Bedeutung. Kleine Gemeinden, unter 10000 Einwohner sind von der Beteiligung im Planungsverfahren ausgeschlossen. Die Antwort der Großen Anfrage stellt es ganz anders dar.
Wir unterstützen den vorliegenden Entschließungsantrag gern. In den Dörfern des Landes wohnen mehr als die Hälfte der Brandenburger, diese Menschen wollen sich am aktiven Leben beteiligen, Wertschöpfung erbringen, sie wollen mitgenommen und nicht ausgegrenzt werden. Sie wollen in Dörfern leben, auch wenn die Bedingungen in diesen Siedlungsstrukturen andere sind.
Es müssen Mitspracherechte auf Augenhöhe geschaffen werden, gesellschaftlich aktive Menschen vor Ort haben oft praktikable Lösungen, die auch angemessen finanzierbar sind. Dazu müssen die Fördermittel auf reale Bedingungen und Praktikabilität umgestellt werden.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen in Dörfern sollte intensive Unterstützung erfahren. Die panische Angst vor dem Entstehen von Splittersiedlungen an Dorfrändern muss und kann durch Entsieglungen in Außenbereichen, durch Beräumung von Müllkippen oder auch Rückbau von leergefallenen Gebäuden in Ortschaften kompensiert werden.
Individuelle Lösungen sind gefragt, Kleinunternehmen in Dörfern ländlicher Räume mit sehr ländlicher Prägung sollten aktiv unterstützt werden, anders als im nahen Berliner Verdichtungsraum, wenn es zum Beispiel in Fredersdorf im Blickfeld von Marzahn dem letzten Grün und den Bäumen an den Kragen gehen soll.
Bitte öffnen Sie Ihr Herz für die Dörfer in Brandenburg.“