Debattenbeitrag Contra
Die aktuelle Debatte zur Wiedereinführung der Wehrpflicht lässt einen staunend zurück und man fragt sich unweigerlich: „Was ist passiert?“ Schon seit Jahren ist zu beobachten, dass die einstigen Pazifisten sich zu den größten Waffenexperten und ehemalige Diplomaten zu den entschlossensten Militaristen aufschwingen. Nun muss man jedem Menschen zubilligen, dass er seine Position ändert und neue Auffassungen vertritt. Auffällig ist hier jedoch, wie wenig untermauert dieser Meinungsumschwung ist.
Eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht ist eine gravierende gesellschaftliche Rolle rückwärts, die fundiert begründet sein muss. Aus manch konservativen Kreisen vorgetragene Floskeln, wonach dies noch nie jemandem geschadet habe und immerhin charakterbildend sei, sind nicht nur platte Schlagwörter, sondern auch eine intellektuelle Zumutung in der Auseinandersetzung um verteidigungspolitische Notwendigkeiten. Wer gegenüber jungen Erwachsenen argumentiert, als seien sie durch den Staat zu erziehende Reserve, sollte nicht so tun, als sei sein Gerede Ausdruck einer militärtechnischen Analyse. Es sind Anwürfe ohne Substanz und ohne Achtung vor den Lebensentwürfen der Betroffenen. Dass junge Erwachsene auch ohne Militärdienst zum Wohle der Gesellschaft tätig sein können, scheint jenen Claqueuren entgangen zu sein. Und wenn man dann in den Blick nimmt, dass diese von Gratismut getragenen Ausrufe in der Regel von denen kommen, die bzw. deren Kinder nicht bzw. nicht mehr betroffen wären, weiß man diese noch besser einzuordnen. Und auch sonst ist es nicht Aufgabe von Politik, den Menschen nur nicht zu schaden, sondern alles dafür zu tun, die Lebensumstände zu heben.
Natürlich kennen wir alle das Hauptnarrativ, wonach die diskutierten Schritte aufgrund der russischen Bedrohung notwendig seien. Und, in der Tat, machen wir uns nichts vor: Russland hat die Ukraine angegriffen und trägt die Schuld für all das Leid, was vor allem über die Zivilbevölkerung gebracht wurde. Über diesen Fakt vermögen auch geopolitische Entwicklungen der letzten 20 Jahre nicht hinwegzutäuschen. Das kann und muss man aussprechen, während man zugleich sagen kann, dass wir dennoch gut daran täten, uns nicht in diesen Konflikt durch Waffenlieferungen einzumischen. Derzeitige Argumentationsmuster mancher Parteien muten völlig irrwitzig an und spülen nur Rüstungskonzernen Geld in die Taschen. Sicher bedarf es der Erneuerung und Modernisierung von Militärtechnik für die Bundeswehr, aber einer Wehrpflicht bedarf es dazu nicht. Zwanzig Jahre des Rückbaus von Personal und Objekten lassen sich nicht mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht kompensieren und Wehrpflichtige sind auch nicht dazu da, Drohnen zu verschießen.
Dies war und ist die Position von BVB / FREIE WÄHLER seit Anbeginn. Seinerzeit sahen es noch alle anderen Parteien auch so, die nahezu alle Schritt für Schritt umgekippt sind und sich inzwischen in der Waffenlieferungsforderungsspirale gegenseitig überbieten.
Deutschland ist nicht die Ukraine. Deutschland ist Mitglied der Nato, des mächtigsten Militärbündnisses der Geschichte. Dieses soll – so der Sinn von Militärbündnissen – auch der Abschreckung dienen. Diesen Wirkhebel im öffentlichen Diskurs bewusst kleinzureden, ist unverantwortlich. Wer die sich aus der Bündnislogik ergebenden Vorteile negiert, missachtet Jahrzehnte bundesdeutscher strategischer Ausrichtung. Wer sowas tut, sollte nicht als Experte für militärische Abenteuer durchs Land ziehen. Und im Übrigen: Wenn es um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands so schlecht bestellt ist, dann ist die Verantwortung wohl bei denen zu suchen, die in den letzten Jahrzehnten eben diese trugen. Warum nun dieselben diejenigen sein sollten, die uns erklären, wie das selbstgeschaffene vermeintliche Elend behoben werden kann, erschließt sich schon denklogisch nicht.
Deswegen ist auch die Wehrpflichtdebatte eine Placebo-Debatte. Die Zeiten, in denen die Zahl der Männer und Rösser auf dem Schlachtfeld über Sieg und Niederlage entschieden, sind seit Langem vorbei. Dabei spielen ganz andere Faktoren eine Rolle. Wer das nicht weiß, kann zum Beispiel im US-Pentagon nachfragen, also im mächtigsten aller Verteidigungsministerien (aktuell auch Kriegsministerium genannt) der Welt, in einem Land ohne Wehrpflicht übrigens. So handhaben es auch die allermeisten NATO- und EU-Staaten. Eine allgemeine Wehrplicht hat nur noch eine Handvoll von Ländern. Was es vielmehr bräuchte, wäre eine bessere Wertschätzung gegenüber den Soldatinnen und Soldaten, die ihren Dienst verrichten.
Deswegen drängt sich der Eindruck auf, dass die Forderung nach einer wie auch immer ausgestalteten Wehrplicht erneut den Meinungskorridor in unzulässiger Weise verengen soll. Erneut geht es um Alternativlosigkeit und Konformitätsdruck gegenüber all jenen, die sagen, dass Abrüstungsziele, diplomatische Bemühungen und Reserviertheit gegenüber Pflichtdiensten auch zum absolut legitimen Blickwinkel gehören. Tatsächlich war dies bis vor Kurzem sogar Mainstream und – man muss es ausrufen – es hat sich gar nicht schlecht angefühlt.
Deswegen bleiben wir bei unserem Nein zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Wir glauben daran, dass man die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen muss, die mühseligen Schleifen der Diplomatie immer und immer wieder zu laufen. Sich dem zu entziehen, indem man sie mit plakativen Rufen nach einer Wehrpflicht übertüncht, ist unverantwortlich. Schon deshalb ist der Forderung nach ihrer Wiedereinführung entschieden entgegenzutreten. Wer mehr auf die Mütter hört, erkennt dies ganz schnell. Alte Männer und Frauen sollten keine jungen Männer und Frauen in Kriege schicken, die sie selbst herbeireden.



