BVB / FREIE WÄHLER zum Thema Brexit – Rede von Péter Vida im Landtag und Stellungnahme vom landespolitischen Sprecher für Mittelstand, Jens Wylegalla
Ende Juni wurde in Großbritannien mit knapper Mehrheit per Volksentscheid beschlossen, aus der Europäischen Union auszutreten. Für Europa wird der resultierende „Brexit“ wohl die politisch wichtigste Entscheidung des Jahres bleiben. Nur eine Minderheit hatte mit diesem Ergebnis gerechnet, kaum jemand hatte Pläne und Vorkehrungen getroffen. Und so herrschen in Wirtschaft und Politik seitdem Verwirrung und Unklarheit, wie man nun weitermachen soll.
Scheinbar weit weg hat dies auch für Brandenburg Auswirkungen. Der Warenaustausch mit Großbritannien wird wohl komplizierter. Ebenso sind Konsequenzen im Bereich Tourismus zu erwarten. Auch für die EU-Fördermittel werden Einschnitte erwartet. Mit dem Wegfall eines großen Einzahlers werden diese allgemein knapper. Vor allem aber bricht ein relativ wohlhabender Teil der EU weg. Damit wird Brandenburg zukünftig nicht mehr ärmer sein als der Durchschnitt der EU – was für viele Förderprogramme in Brandenburg das Ende bedeuten dürfte. Auch der Landtag beschäftigte sich am 14.07.2016 mit diesem Thema.
Péter Vida stellte in seiner Rede zum Brexit als Erstes fest, dass die Europäische Union ein großes Friedensprojekt ist und ohne Großbritannien eindeutig schwächer dasteht. Es ist ein schwerer Verlust, der bedauerlich ist.
Vida warnte jedoch davor, den Volksentscheid unter Vorwänden in Frage zu stellen. Die Stimme eines älteren Bürgers ist nicht weniger wert als die eines jüngeren Bürgers. Zudem ist es falsch, nun nachzutreten und zu versuchen, Großbritannien mutwillig bei der Aushandlung der Austrittsbedingungen schaden zu wollen. Nach dem Austritt Großbritanniens werden über 40 % der Europäischen Bevölkerung nicht in der EU leben. Schelte und ein Verhalten aus Trotz werden diese Staaten nicht ermutigen, der EU beizutreten und Großbritannien mit Sicherheit nicht dazu bewegen, es sich in Zukunft vielleicht noch einmal anders zu überlegen.
Zudem muss die Poilitk endlich ernsthaft über die Ursachen für die Ablehnung der EU nachdenken. Die Institutionen der EU sind für die Bevölkerung anonym und kaum durchschaubar. Sie erwecken oft nicht den Eindruck, demokratisch legitimiert zu sein. Auch die Wirtschaftspolitik der EU läuft dem Willen der Bevölkerung oft zuwider, wie zahlreiche Proteste gegen die geheimen Verhandlungen zu Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP zeigen. Daher muss sich die EU deutlich ändern, demokratischer und transparenter werden und die Maßnahmen und Entscheidungen auch besser kommunizieren. Dann wird auch die Zustimmung in der Bevölkerung wieder steigen.
Zum Thema Brexit und den Folgen für die mittelständische Wirtschaft äußerte sich auch unser landespolitischer Sprecher für Mittelstand, Jens Wylegalla, ausführlich:
„Schwarzer Freitag.
Der Ausgang des britischen Referendums zum Austritt oder Verbleib in der Europäischen Union ist mehr als ein Einschnitt, er ist ein Schock. Premierminister David Camerons parteipolitisch motivierter geplanter großer Sieg hat sich in eine große Niederlage verwandelt. Er hat sein Land und seine Partei messerscharf und tief gespalten.
Bei 72 % Wahlbeteiligung entschied sich in Großbritannien eine knappe Mehrheit von 51,8 % für den Austritt aus der Europäischen Union. Dabei stimmten in London 60 % für den Verbleib und 40 % für den Austritt, im übrigen England genau umgedreht, 60 % für den Austritt 40 % für Verbleib. In Schottland, Nordirland und Gibraltar stimmte die Mehrheit der Bevölkerung für die Beibehaltung der Mitgliedschaft, genauso wie drei Viertel der gesamten Bevölkerung unter 25 Jahren. David Camerons parteipolitisch motivierte Entscheidung hat Europa tief gespalten.
Nach 43 Jahren Mitgliedschaft hat sich Großbritannien als starkes Mitglied der Gemeinschaft verabschiedet. Damit entfallen ein wichtiger Beitrag an der europäischen Außenverteidigung, gewachsene wirtschaftliche Verflechtungen und eine auf einem soliden Staatshaushalt begründete Rolle im europäischen Einigungsprozess. Großbritannien hat sich dagegen entschieden, grenzüberschreitende Probleme als Teil der europäischen Gemeinschaft zu lösen. Die Enttäuschung und das Bedauern sind groß, der Schaden langfristig spürbar, für Großbritannien, die verbleibenden 27 Mitglieder der Europäischen Union, die Weltwirtschaft. Bereits am Tage der Verkündung des Ausgangs jubeln nationalistische Bewegungen in den Niederlanden, Österreich, Italien, Frankreich und auch in Deutschland durch die AfD. Sie würden auch ein Referendum zum Austritt anstreben. ,Vor Freude wurden Tränen vergossen.‘
Doch diese werden wohl sehr bald bittere Tränen sein angesichts der Folgen. Selbige sind noch nicht in ihrer Dimension absehbar, doch der erste Tag nach dem Referendum beginnt richtungsweisend. Das britische Pfund fällt um 10 % auf den tiefsten Stand seit 30 Jahren, mit ihm auch die chinesische Währung und auch der Euro, der DAX um rund 7 %. Die Aktienkurse und Finanzmärkte trifft es besonders hart, Deutsche Bank und Commerzbank um minus 12 %. BMW minus 9 %. Es ist ein schwarzer Freitag für die Finanzmärkte.
Auf den Börsen weltweit wurden an diesem Tag Werte in Höhe von 5 Billionen US-Dollar vernichtet. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist absehbar stark getroffen. 8 % aller deutschen und damit auch anteilig brandenburgischen Exporte gehen nach Großbritannien. Das entspricht einem Anteil von 4 % der wirtschaftlichen Gesamtleistung, gemessen am BIP. Auf ökonomischer Ebene ist ein Domino-Effekt zu befürchten, so mit Blick auf Italien und seiner hohen Staatsverschuldung sowie aktuell schwachen Wirtschaft oder Griechenland und Portugal. Es besteht ganz klar Rezessionsgefahr in Europa.
Aber auch für Großbritannien sind langfristige Einbrüche zu befürchten. Airbus will seine Investitionen auf der Insel prüfen. BMW hat in den vergangenen Jahren Milliarden in Rover und den Mini investiert, welche für den europäischen Markt produziert werden, 340.000 Fahrzeuge pro Jahr. Mögliche Ein- und Ausfuhrzölle für Teile und Produkte lässt erhebliche Verteuerungen des Erfolgsmodells befürchten. Der britische Binnenmarkt für den Mini wird absehbar einbrechen. BMW erklärte im Vorfeld des Referendums, der Konzern plane nicht jahresweise, sondern für mehrere Jahre und möchte daher Unwägbarkeiten ausschließen. Immerhin hätte der Konzern weltweit Werke. Klar ist, die auf der Insel produzierten Motoren können auch in Deutschland oder gar in China produziert werden. Wirtschaftliche Verbände und Ökonomen warnen, langfristig werde das Investitionsvolumen und damit die Innovationsfähigkeit in Großbritannien schrumpfen. Soweit ein erster messbarer Eindruck der Folgen des Ausgangs des Referendums für alle Beteiligten.
Heute ist ein Tag, der Schock, Schrecken, politisches Erdbeben, ökonomische Schäden weltweit und tiefes, ehrliches Bedauern dokumentiert. ,Mit großem Bedau
ern‘ – das ist die emotionale Seite der Medaille, es lohnt, genau hinzuschauen. Es waren vor allem geschürte Emotionen, kurzfristig orientierte nationale Lösungswege und nicht rationale Erwägungen, welche die britische Diskussion um Verbleib oder Austritt betrieben. Es war ein zunehmend aggressiver und am Ende rassistisch betriebener Wahlkampf, gipfelnd in einem Attentat. Unklare und diffuse Ängste wurden während des Referendum-Wahlkampfes bewusst geschürt und dafür genutzt, einen Keil zwischen Menschen mit gemeinsamen Anliegen zu treiben. Es bleibt zu erwarten, dass AfD und Co. dieses politische Werkzeug der künstlichen, rassistischen und nationalistischen Emotionalisierung weiter einsetzen werden.
Ohne Blick auf die Folgen, geschweige denn Verantwortung für selbige. Die bewusst vermarktete Strategie, sich als Anwalt des kleinen Menschen, der Gestrauchelten und Enttäuschten auszugeben, ist reines Blendwerk mit klaren machtpolitischen Eigeninteressen. Emotionen sind schwer einzuschätzen oder zu steuern, wie am überraschenden Ausgang des Referendums ablesbar ist. Die Fakten und nüchternen Zahlen jenseits der Emotion dagegen sprechen eine eigene, klare Sprache. Sie zeigen Schaden an – für alle.
Das dokumentiert dieser Tag nach dem Referendum kristallklar. Schäden sind auch für Brandenburgs Wirtschaft zu befürchten. Nicht nur bekannte große, auch zahlreiche kleine und mittlere britische Unternehmen pflegen hier wirtschaftliche Kontakte. Brandenburg ist global vernetzt, selbstverständlich auch mit Großbritannien. Der brandenburgische Mittelstand und damit alle Bürgerinnen und Bürger profitieren von gemeinsamen europäischen Werten und vom Handel, im Besonderen auf Basis der europäischen Freizügigkeit im Personen-, Dienstleistungs-, Finanz- und Warenverkehr.
Der Mittelstand in Brandenburg steht ein für ein starkes Miteinander, für den Austausch, auch von Forschung und Innovation. Wir respektieren das Verschiedene, das Vielseitige, wir ordnen uns als Wirtschaftsstandort Brandenburg mehr als nur gern ein, wir profitieren davon. Das schafft Arbeit und Wohlstand vor Ort, in unserer Heimat. Klar ist, der brandenburgische Mittelstand denkt und handelt europäisch. Das ist gut für Brandenburg, für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger. Europa ist unser Zuhause und unsere Zukunft.“
Jens Wylegalla, landespolitischer Sprecher für Mittelstand BVB / FREIE WÄHLER