Organklage beim Landesverfassungsgericht eingereicht – Prozessbevollmächtigte Prof. Dr. Helge Sodan und RA Hasso Lieber
Die Landtagsgruppe BVB / FREIE WÄHLER präsentierte heute die Inhalte ihrer Klage vor dem Landesverfassungsgericht gegen den rechtlosen Gruppenstatus im Landtag. Gemeinsam stellten die drei Abgeordneten Iris Schülzke, Christoph Schulze und Péter Vida die beiden von der Gruppe mit der Klage betrauten Juristen vor.
Prof. Dr. Helge Sodan war von 2000 bis 2007 Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin. Er ist aktuell Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Sozialrecht an der Freien Universität Berlin. Sodan ist Mitglied der CDU.
Hasso Lieber war einer der Autoren der Verfassung des Landes Brandenburg. Bis 1999 war er Leiter des Verfassungsschutzes des Landes Brandenburg. Später war er als Justizstaatssekretär des Landes Berlin tätig. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Lieber ist langjähriges SPD-Mitglied.
Beide Prozessbevollmächtigten machten deutlich, dass die Behandlung der Gruppe BVB / FREIE WÄHLER gegen grundsätzliche Prinzipien der Landesverfassung verstößt.
Hasso Lieber, einer der Väter der Verfassung des Landes Brandenburg, erklärte, dass gerade die Verfassung des Landes Brandenburg eine Benachteiligung der Opposition explizit ausschließt: „Diese Behandlung ist nicht das, was man damals bei der Ausarbeitung dieser Verfassung im Sinn hatte!“ Er verwies damit auf den Art. 55, Absatz 2 der Landesverfassung. Der lautet: „Die Opposition ist ein wesentlicher Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie hat das Recht auf Chancengleichheit.“
Péter Vida ließ den Ablauf noch einmal Revue passieren. Kurz nach der Wahl wurden unseren drei Abgeordneten Versprechungen gemacht, man werde eine gerechte Lösung finden. Hierzu sollten sich die Fraktionen beraten – in einer Runde, der wir nicht angehörten. Doch selbst nach Monaten gab es keine Ergebnisse.
Im Frühjahr 2015 ging es dann plötzlich ganz schnell. Doch der gewährte Gruppenstatus brachte nicht ein einziges Recht! Nach wie vor hat die Gruppe die gleichen neun Rechte wie ein fraktionsloser Abgeordneter. Den Fraktionen stehen hingegen 33 Rechte zu. Die einzige rechtliche Verbesserung beinhaltet zwei Minuten mehr Redezeit pro Person. Große Anfragen bleiben ebenso verwehrt wie die Möglichkeit, zur Klärung von Fragen oder Mithilfe bei Gesetzesentwürfen den Parlamentarischen Beratungsdienst in Anspruch zu nehmen. Auch Aktuelle Stunden dürfen nicht beantragt werden, ebenso keine namentlichen Abstimmungen.
Die rechtliche Benachteiligung beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Nicht-Gewähren von parlamentarischen Rechten. Dazu lieferte Christoph Schulze ein Beispiel: In den Fraktionen sind unterschriftsberechtigte Stellvertreter des Fraktionsvorsitzenden vollkommen üblich. Ihre Unterschriften werden von der Landtagsverwaltung anstandslos anerkannt. So kann man sich problemlos gegenseitig vertreten.
Bei der Gruppe werden die gewählten Stellvertreter der Gruppensprecherin jedoch trotz mehrfacher Bitte von der Landtagspräsidentin nicht anerkannt. Ergebnis: Ist die Gruppensprecherin im Urlaub oder krank, wird die gesamte Gruppe handlungsunfähig, da es keinen Unterschriftsberechtigten gibt. Rational ist diese Verweigerung nicht nachzuvollziehen, denn es würde nichts kosten und die Arbeit im Landtag erleichtern. Folglich ist klar, dass es sich um reine Schikane handelt.
Dasselbe gilt für die seit wenigen Monaten erfolgte Neudefinition eines Sitzungstages. Neuerdings werden der Sitzungstag Donnerstag und der Sitzungstag Freitag als einer zusammengerechnet, was die Redezeit unserer Gruppe faktisch halbiert, da wir im Gegensatz zu den Fraktionen Redezeit nicht je Tagesordnungspunkt, sondern pro Tag haben.
Derartige Schikanen, mit denen man die Arbeit der Gruppe behindert, werden seit Monaten dokumentiert. Inzwischen füllen sie einen daumendicken Ordner. Im Einzelnen sind diese vielleicht noch nicht verfassungswidrig, in ihrer Gesamtwirkung stellen sie jedoch eindeutig ein verfassungswidriges Handeln dar, so Prof. Dr. Helge Sodan. Beschwerden bei der Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) zeigten kaum Wirkung. Eigentlich sollte die Landtagspräsidentin als überparteiliche Kraft für das Funktionieren des Landtages sorgen. Christoph Schulze dazu: „Die Landtagspräsidentin agiert als verlängerter Arm der Regierungskoalition. Sie wird damit den Aufgaben des Amtes nicht gerecht.“
Ebenso stellten die beiden Rechtswissenschaftler in ihrem umfangreichen Schriftsatz heraus, dass die Entscheidung des Landtages Brandenburg in grundlegenden Punkten den Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts in Sachen PDS/Gruppenstatus aus den 1990er Jahren widerspricht. Die dort aufgestellten Entscheidungen zur Gewährung von Gruppenrechten wurden in Brandenburg komplett ignoriert.
Sowohl Sodan als auch Lieber machten klar, dass dieser Fall für sie kein üblicher Auftrag als Prozessvertreter ist. Als Verfassungsrechtler ist es auch eine Herzensangelegenheit, die Gruppe in diesem Fall zu vertreten. Es ist aus ihrer Sicht abzusehen, dass das Urteil die Politik und das Demokratieverständnis des Landes Brandenburg auf Jahrzehnte hinaus prägen wird. Denn es wird ein Grundsatzurteil sein, wie im Land Brandenburg mit parlamentarischen Minderheiten umgegangen wird.
Im Anschluss an die Pressekonferenz überreichte Péter Vida die Klageschrift in Potsdam dem Landesverfassungsgericht des Landes Brandenburg. Das Urteil wird voraussichtlich erst in einigen Monaten erwartet. Wir werden über den Fortschritt der Verhandlungen berichten.
(Hinweis an die Presse: Sie können die Fotos aus diesem Beitrag unentgeltlich verwenden!)
Beitra
g auf RBB-Aktuell vom 10.09.2015 (ab 1:26)
Artikel der Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 11.09.2015