Annalena Baerbock will Grundlast mit Biomasse und abschaltbaren Lasten decken – wenn Ahnungslosigkeit die Stromversorgung gefährdet
Was soll passieren, wenn Windkraft und Photovoltaik wetterbedingt ausfallen? Diese Frage stellte man bei „Maischberger“ Annalena Baerbock, der Spitzenkandidatin der Grünen (Ab 3:50). Biomasse solle die Grundlast decken, so Baerbock.
Grundlast ist der Strombedarf, der im Laufe eines Tages nicht unterschritten wird. An den meisten Tagen beträgt die Grundlast in Deutschland etwa 50.000 MW. Da zukünftig in der bisher besonders verbrauchsarmen Nacht die Elektroautos geladen werden sollen, dürfte dieser Wert noch steigen.
Biomasse liefert deutschlandweit im Schnitt nur etwa 5.000 MW an Leistung. Und schon jetzt ist klar, dass Monokultur und Holzmangel keinen nennenswerten Ausbau mehr zulassen. Lediglich bei der Nutzung von Abfällen und Abwasser (Klärgas) sind noch in geringem Umfang Erweiterungen ohne Raubbau und Umweltschäden möglich.
Das heißt: Biomasse kann nur ein Zehntel der Grundlast decken. Selbst unter der reichlich optimistischen Annahme, dass wir die Biomasse nur in der Hälfte der Zeit einsetzen (Rest: Wind + Photovoltaik), können wir also höchsten 10.000 MW der Grundlast aus Biomasse decken.
Für den Rest kündigte die Spitzenkandidatin der Grünen folgende Lösung an:
„und – das ist neu – das ist auch interessant für Start-Ups und Unternehmen, zum Beispiel Rechenzentren und große Supermärkte, die dann als Energieerzeuger [sic!] in den Markt reinkommen. Wenn eine Kühlung bei einem riesengroßen Produzenten von minus 22 Grad in Zukunft dann auf minus 20 Grad runterkühlt, dann ist das Hühnchen immer noch kalt, aber wir können an der Grundlast das Netz stabilisieren.“
Weder Rechenzentren, noch Supermärkte oder Kühlhäuser sind Stromerzeuger. Sie sind Stromverbraucher. Was Annalena Baerbock mit ihren wirren und inhaltlich klar falschen Ausführungen vermutlich meinte waren abschaltbare Lasten. Also Stromverbraucher, die – gegen kräftige Entschädigung – bereit sind, sich im Fall von drohenden Stromausfällen zweitweise abschalten zu lassen. Derzeit besteht dies im Umfang von 1.500 MW – deutschlandweit. Man hofft es auf 3.000 MW erweitern zu können. Tatsächlich dient dies jedoch der gelegentlichen kurzfristigen Verhinderung von Stromausfällen, nicht der täglichen Steuerung des Strombedarfs wie es die Grünen offensichtlich als Ziel sehen. Sollte letzteres das Ziel werden, würden die Betriebe in etwa jeden zweiten Tag abgeschaltet. Entsprechend dürften die Entschädigungsforderungen in astronomische Höhen gehen. Während die Wirtschaftsleistung, die das am Ende finanzieren soll, sinkt, da die Betriebe die Hälfte der Zeit nichts produzieren können. Der Ansatz ist also völlig realitätsfern.
Nehmen wir die für die Grünen günstigsten Annahmen an: Gleichbleibende Grundlast, Flexibilisierung der Biomasse und Verdopplung der abschaltbaren Lasten. Dann kann Annalena Baerbocks Lösungsvorschlag 13.000 MW der Grundlast abdecken bzw. vermeiden. Das wären 26% des Gesamtproblems von 50.000 MW. Wie sollen die restlichen 74% des Problems gelöst werden? Dazu schweigt Annalena Baerbock und nutzt aus, dass die meisten Bürger nicht im Thema stecken. Und entsprechend die Größenordnungen nicht kennen.
Das ganze erinnert an eine andere Grüne, die „Energieexpertin“ Heide Schinowsky (Ausbildung: Sozialpädagogin). Die hatten wir im September 2015 in einer Landtagsdebatte auf das Problem angesprochen, dass sich Elektrizität nicht zu vertretbaren Kosten in großen Mengen speichern lässt. Ihr Lösungsvorschlag damals: Das kriegen die Ingenieure schon hin, „dem Ingenieur ist nichts zu schwör“, sie wisse das, sie sei ja „Ingenierstochter“. Na dann kann ja nichts mehr schief gehen… Aber wenn das so ein leichtes Problem war: Warum hat dann Frau Maischberger 6 Jahre später genau das gleiche Problem angesprochen?
Lösungen gäbe es durchaus – aber dafür müsste man für die „Dunkelflaute“ (wetterbedingter Ausfall von Photovoltaik und Windkraft) eine steuerbare Reserve in ausreichendem Umfang schaffen. Und nach dem Atom- und Kohleausstieg kommt beim aktuellen Stand der Technik als plausible und finanzierbare Lösung wohl vorerst nur Erdgas in Frage. Denn ob Power-to-Gas in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu vertretbaren Preisen realisierbar wird steht ebenso in den Sternen wie die Kernfusion, Megabatterien und andere theoretische Möglichkeiten. Der Ausstieg aus Kohle und Atomenergie findet aber jetzt statt. Die Grünen wollten es so schnell wie möglich und wollen es sogar jetzt noch beschleunigen. Also können sie nicht einfach die letzte verfügbare und bezahlbare Reserveenergie auch noch ablehnen und bekämpfen.
Entweder haben die Grünen in Sachen Energiepolitik keine Ahnung, wovon sie reden. Oder sie machen wider besseres Wissens Wahlkampf mit undurchführbarem Wunschdenken. Weil sich das besser anhört als realistische Pläne. Und sie hoffen, dass die Bevölkerung nicht erkennt dass die angebotene „Lösung“ nicht funktionieren kann. In beiden Fällen kann man die Energiepolitik keinesfalls den Grünen anvertrauen.