Frankfurts Fortschritte nicht anerkannt, Bürger beleidigt – Schröter verspielt alle in Sympathien seiner Geburtsstadt
Am 15.09.2015 fand in Frankfurt (Oder) der „Bürgerdialog“ zur Kreisgebietsreform statt. Rund tausend Bürger hatten sich dazu vor dem Kleist Forum im Herzen der Oderstadt eingefunden und auch wir waren vor Ort. Trotz des ernsten Themas herrschte Volksfeststimmung. Den Innenminister empfing man freundlich, war er doch in der Stadt geboren. Man wollte sich seine Argumente anhören, sachlich mit ihm darüber reden, warum die Bürger die Einkreisung ablehnen. Man erhofft einen offenen Dialog – jedoch vergebens.
Oberbürgermeister Martin Wilke verwies als erster Redner darauf, dass die Stadt inzwischen viel stärker dasteht als in den 90ern und attraktiver gewordenen ist. Schaut man auf die Bevölkerungsentwicklung, so sieht man, dass er Recht hat. Verlor Frankfurt (Oder) in den zehn Jahren von 1995 bis 2005 im Schnitt 1.700 Einwohner pro Jahr, waren es 2005 bis 2015 nur noch 600 pro Jahr. Auch die Bevölkerungsprognosen der Bertelsmann Stiftung wurden in den letzten Jahren immer wieder angehoben. Für das Jahr 2020 prognostiziert man 2006 nur 51.517 Einwohner. Im Jahr 2012 hob man diese Prognose auf 54.960, im Jahr 2015 dann auf 56.600. In nur neun Jahren hatte sich die Prognose von einer radikalen Schrumpfung um 10 % gegenüber dem heutigen Stand zu einer nahezu stabilen Bevölkerung gewandelt.
Und selbst diese Zahlen sind wohl inzwischen Makulatur. Denn allein 2015 sollen 1.300 Flüchtlinge in der Stadt untergebracht werden. Damit würde die Stadt zum ersten Mal seit der Wende sogar wieder einen Bevölkerungszuwachs aufweisen – für den Bürgermeister ein Modell mit Zukunft. Denn mit der Universität und den vielen Förderschulen ist Frankfurt (Oder) einer der geeignetsten Standorte für Integration in Brandenburg. In der anschließenden Diskussion stimmten ihm die im Kleist Forum versammelten Bürger mit großer Mehrheit zu.
Anders als in Brandenburg an der Havel wurde Innenminister Karl-Heinz-Schröter beim ersten Auftritt auf der Bühne des Kleist Forums nicht ausgebuht, sondern sogar mit ordentlichem Applaus bedacht. Leider nutzte er die anschließende Chance nicht, sich auf einen echten Dialog einzulassen. Routiniert ratterten er und die Staatssekretärin für Finanzen Trochowski die Zahlen herunter. Für Schröter und die Landesregierung sind die inzwischen besser werdenden Prognosen für Frankfurt keine Argumente. Die Demografie sei „fast wie Mathematik“, der Abstieg Frankfurts und die völlige Überalterung unausweichlich.
Das ist entweder völlige Unwissenheit oder eine glatte Lüge. Die Wahrheit ist, dass Demografie im Gegensatz zur Mathematik alles andere als sicher und eindeutig ist. Nur die Geburten- und Sterbefälle lassen sich über Zeiträume von einigen Jahren relativ gut vorhersagen. Ein- und Auswanderung ist bei der Demografie jedoch reine Spekulation. Sie können sich in kurzen Zeiträumen ändern und sind auch durch politische Entscheidungen beeinflussbar. Das beste Beispiel ist der aktuelle Flüchtlingsstrom.
Doch auch das Argument der neu hinzukommenden Flüchtlinge und der Eignung Frankfurts als Universitätsstadt für die Integration lässt Innenminister Schröter nicht gelten. Frankfurt sei nicht attraktiv. Alle fähigen jungen Leute wären in der Vergangenheit weggegangen. Die Flüchtlinge würden ebenfalls nicht hier bleiben.
Das ruft Empörung in den Reihen der anwesenden Bürger, Buh-Rufe und Pfiffe hervor. Für was hält der Innenminister sie? Ein paar Ewig-Gestrige, die noch nicht eingesehen haben, dass sie ihrer Stadt den Rücken kehren sollen? Sind die gemeinschaftlichen Anstrengungen und Erfolge, Frankfurt attraktiver zu machen für die rot-rote Regierung nichts wert? Oberbürgermeister Martin Wilke meinte sichtlich enttäuscht: „Karl-Heinz, du bist zwar in Frankfurt geboren, aber dein Herz schlägt nicht hier!“
Ein zugezogener Student meinte in der Diskussion, er lebe gerne in Frankfurt und würde gerne dort wohnen bleiben. Doch es werde ihm schwerfallen, seine Kommilitonen davon zu überzeugen, es ihm gleichzutun, wenn der eigene Innenminister erzählt, dass die Stadt unattraktiv und ein hoffnungsloser Fall ist, aus dem sowieso alle wegziehen würden. Er forderte zudem, dass man die Bürger der Stadt über die Einkreisung entscheiden lässt.
Schröter walzte über das Argument, dass derartige Aussagen und Planungen der Landesregierung die Probleme mit verursachen, einfach hinweg. Flapsig bemerkte er nur, dass es die Studenten nicht interessiere, ob die Stadt kreisfrei ist oder nicht. Dass es bei der Aussage des Studenten gar nicht um die Kreisfreiheit ging, sondern darum, dass Schröter gerade die Bemühungen sabotierte, das Image der Stadt zu verbessern, ignorierte er einfach. Ebenso ignorierte er ohne Begründung die Forderung nach einem Bürgerentscheid. So sieht für den Innenminister Dialog aus.
Die Frage nach den vom Land zurückgelegten Mitteln im dreistelligen Millionenbereich kam auf. Warum werden diese erst nach der Kreisgebietsreform und nicht sofort eingesetzt, um den kreisfreien Städten zu helfen? Wie schon in der Stadt Brandenburg gab es hierauf keine wirkliche Antwort. Wieder einmal wurde klar, dass das Land die Mittel nicht für Hilfsmaßnahmen vorsieht, sondern als Instrument zur Nötigung.
Auch die Zahlen und Behauptungen aus den Folien des Innenministers wurden von den Anwesenden angezweifelt. Die Bevölkerungsprognosen sind veraltet. Zudem gibt es keine konkreten Zahlen, was die Stadt an zusätzlichen Ausgaben durch neue Aufgaben haben wird, wie viel Kosten an den Landkreis übertragen werden und wie sich die Mittelzuweisung ändern wird. Somit sind die Behauptungen, dass sich durch die Einkreisung „finanzielle Spielräume“ für freiwillige Aufgaben wie den ÖPNV oder für die Kultur öffnen würden, völlig aus der Luft gegriffen.
Innenminister Schröter redete davon, dass man sich über die Fusion freuen solle. Denn die Verwaltung des fusionierten Landkreises würde nun in der Oder-Stadt konzentriert werden, was Arbeitsplätze schafft. Zu dumm, dass wir ihm auch in den Landkreisen zugehört hatten, denn dort redet er gerne vom Erhalt der örtlichen Behörden. Insgesamt so
llen es aber weniger Mitarbeiter werden und so Geld gespart werden. In ihrer Summe sind die drei Verheißungen – Zentralisierung, Aufrechterhaltung der Dezentralisierung und Personaleinsparung – ein Ding der Unmöglichkeit. Irgendwo wird die Regierung Schröters Versprechen brechen. Auch auf den Folien werden solche Versprechungen lieber nicht schriftlich festgehalten – so wird es später einfacher, alles zu bestreiten.
Oberbürgermeister Martin Wilke hatte bereits im Vorfeld die Zahlen zum Verwaltungsaufwand überprüfen lassen. Denn die Aufgaben von Kreisen und kreisfreien Städten unterscheiden sich und lassen sich schwer vergleichen – was zuvor schon Schröter und Trochowski gesagt hatten. Wilke kam unter Berücksichtigung der Aufgaben auf eine Verwaltungsdichte, die der der umliegenden Landkreise MOL und LOS entspricht.
Auch für Brandenburg insgesamt sieht Wilke keine per se ineffiziente Verwaltung. Zwar wird argumentiert, dass die Kommunen in Brandenburg mehr Geld erhalten als die Kommunen anderer Bundesländer und auch mehr Personal haben, allerdings ist die Kommunalisierung der Aufgaben in Brandenburg weit höher als in den anderen Bundesländern. Kurzum, die Kommunen haben mehr Geld und Personal, müssen aber auch wesentlich mehr Aufgaben erledigen, die anderswo das Land übernimmt. Berücksichtigt man diesen Fakt, ist die Ausstattung mit Finanzen sogar relativ schlecht.
Wilke bot dem Innenminister an, alle Zahlen gemeinsam durchzugehen. Der Innenminister machte keine Anzeichen, dass er auf das Angebot eingehen will. Denn wie er schon vor einer Woche in Lübben gesagt hatte: „Die Frage ist nicht mehr, ob die Reform kommt, sondern nur noch wie.“ Aus Sicht der Bürger wird der angebliche „Dialog“ damit jedoch zu einem „Reden gegen die Wand“. Beim Ende der Veranstaltung konnte man überall hören, wie enttäuscht die Bürger Frankfurts über das „sture“ und „arrogante“ Verhalten des Innenministers waren.
Wieder einmal zeigt sich, dass die Bürger die „Dialog“-Veranstaltungen als das wahrnehmen, was sie sind: Alibis, die eine echte Bürgerbeteiligung nicht ersetzen können. Wir bleiben jedenfalls bei unserer von Rot-Rot und Grün im Landtag abgelehnten Forderung: Keine Kreisgebietsreform ohne Bürgerentscheid!
Nachtrag: in den Presseartikeln – alle samt nach unserem Artikel veröffentlicht – wurde der Zwischenfall als Eklat bezeichnet und die Veranstaltung als Fiasko. Zu den Presseartikeln:
Innenminister sorgt für Eklat bei Bürgerforum – Artikel der MOZ vom 16.09.2015